Thema Arafat: Israel steht unter schwerem Verdacht

Nahostpolitik

Von Arn Strohmeyer, 08.11.2013

Also doch, alles deutet darauf hin, dass Jassir Arafat ermordet wurde. Zwar fehlt noch das Ergebnis der französischen und russischen Untersuchung, aber die Arbeit der Schweizer Experten legt die Gewissheit nahe, dass der Palästinenserführer keines natürlichen Todes gestorben ist. Da sind Spekulationen nun Tür und Tor geöffnet: Wer hat den Mord befohlen und wer hat ihn ausgeführt? Dass der Hauptverdacht auf Israel fällt, ergibt sich aus vielen Anhaltspunkten. Es ist kein Geheimnis, dass dieser Staat seine Widersacher und Feinde gnadenlos exekutiert. Dutzende, wenn nicht Hunderte von Palästinenserführern oder Mitglieder der palästinensischen Elite wurden auf diese Weise liquidiert. Ehemalige Geheimdienstchefs rühmen sich sogar dieser Praxis und ihrer „Erfolge“. Wobei die Israelis zwischen „lauten“ und „leisen“ Exekutionen unterscheiden. Erstere werden unter strengster Abschirmung und Geheimhaltung durchgeführt, sie sollen unter keinen Umständen mit dem jüdischen Staat in Verbindung gebracht werden. Die „lauten“ werden in aller Öffentlichkeit vollstreckt und sollen Angst und Schrecken verbreiten.

Israel wird auch durch ein eher technisches Argument belastet: Polonium kann man nicht im nächsten Laden oder im Supermarkt um die Ecke kaufen. Es gehört eine hoch komplizierte nuklear-technische Infrastruktur dazu, dieses äußerst giftige Material herzustellen. Für die Atommacht Israel ist dies ein Leichtes, die Palästinenser sind dazu sicher nicht in der Lage. Natürlich hatte Arafat auch im eigenen Lager Feinde, die an seinem Tod interessiert waren, sie könnten aber bestenfalls Beihilfe zum Mord am dem Palästinenserführer geleistet haben. Dazu kommt ein weiteres Argument, das für Israels Beteiligung spricht: Arafat musste die letzten Monate seines Lebens im Belagerungszustand durch die israelische Armee in seiner Residenz – der Mukata in Ramallah– verbringen. Er war vollständig abgeriegelt und isoliert. Alles was ihn an Lebensmitteln und anderen Gütern erreichte, ging durch die israelische Militär-Kontrolle.

Zudem gibt es einige klare Hinweise, dass Israel vorhatte, Arafat zu beseitigen. Nachdem Israel mit ihm in den 90er Jahren die Oslo-Verträge ausgehandelt hatte, war er nach der Ablehnung der ihm von Israel und den USA auf der Konferenz von Camp David im Jahr 2000 vorgelegten „Friedensregelung“ zur absoluten Unperson geworden. Arafat hatte ausgedient. Er wurde nun von Israel für alles verantwortlich gemacht, die zweite Intifada, die Aktionen sämtlicher militanten Gruppen von der Hamas bis zu Islamischen Jihad und der Hisbollah. Für Israels Propaganda personifizierte sich in Arafat der „Terror“ schlechthin. Man wünschte in der israelischen Führung offenbar einen schwächeren palästinensischen Führer, der einen Frieden zu Israels Bedingungen akzeptieren würde. Dass der damalige israelische Regierungschef Ariel Sharon bisweilen laut über die Beseitigung Arafats nachdachte, ist kein Geheimnis. Nach einer Pressekonferenz zusammen mit dem Oberbefehlshaber der israelischen Armee glaubte man wohl, die Mikrofone seien abgeschaltet. Der General sagt zu Sharon: „Wir müssen Arafat beseitigen.“ Der Regierungschef antwortete: „Ja, ich weiß.“ (Von dem Vorgang existiert ein Video.) Später äußerte Sharon öffentlich, er fühle sich von dem Versprechen befreit, Arafat nichts anzutun.

Auch kritische Israelis glauben daran, dass Israel den Mord initiiert hat. So schrieb der Friedensaktivist und Publizist Uri Avnery 2004: „Als ich damals von Arafats Begräbnis zurückkam, traf ich Jamal Zahalka, ein Mitglied der Knesset. Zahalka, ein studierter Pharmakologe, antwortete auf meine Frage, ob es Mord gewesen sei, ohne zu zögern: ‚Ja!‘ Das war auch mein Gefühl. Aber ein Verdacht ist noch kein Beweis. Vor kurzem bekamen wir eine Art Bestätigung.“ Kurz bevor er starb, veröffentlichte Uri Dan, ein seit fast 50 Jahren loyales Sprachrohr Ariel Sharons, in Frankreich ein Buch. Darin schreibt er von einem Gespräch, das Sharon mit US-Präsident Bush gehabt habe. Sharon habe ihn dabei um die Erlaubnis gebeten, Arafat umbringen zu lassen und Bush habe sie ihm unter dem Vorbehalt gegeben, dass es in einer Weise geschehen müsse, die nicht nachgewiesen werden könne. Als Dan später Sharon fragte, ob es denn so geschehen sei, habe er geantwortet: ‚Darüber soll man lieber nicht reden.‘ Dan nahm dies als Bestätigung.“ Soweit der israelische Publizist Uri Avnery. Die Mordthese vertritt auch der französisch-israelische Autor Ammon Kapeliouk in seiner Arafat-Biografie.

Der letzte Beweis für die These, dass Israel hinter dem Mord steckt, ist noch nicht erbracht. Vielleicht wird dieses „Jahrhundertverbrechen“ auch nie endgültig aufgeklärt. Aber der Verdacht allein, der auf Israel fällt, wiegt schwer. Was die Israelis zur Zeit an Argumenten zu ihrer Entlastung vorbringen, klingt wenig überzeugend. Denn eine „Seifenoper“ war der mutmaßliche Mord an dem Palästinenserführer mit Sicherheit nicht, eher ein weiterer Schritt, der die nahöstliche Region dem Abgrund näher bringt. Denn er würde belegen, dass im Nahen Osten – und nicht nur dort – die Gesetze des Dschungels herrschen. Es ist ja üblich geworden, dass westliche Regierungen (und dazu gehört auch Israel) im Krieg gegen mutmaßliche Terroristen, aber auch gegen vermeintliche Feinde außerhalb ihrer Grenzen Todesurteile fällen und Hinrichtungen vollziehen, die von den Armeen und Geheimdiensten vollstreckt werden. „Kollateralschäden“, also Todesfälle bei völlig unschuldigen Menschen werden dabei zynisch in Kauf genommen. Nach der Werteordnung des Westens hat eigentlich jeder Beschuldigte in einem fairen Prozess das Recht, sich zu verteidigen. Aber die gegenwärtige weltweite Praxis der Liquidierungen beweist, dass auf dem Globus das gnadenlose Recht des Stärkeren und Mächtigeren herrscht und nicht eine zivilisierte Rechtsordnung.

Arn Strohmeyer