Kommentar zur Kündigung des Kontos der „Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost: Ist Deutschland eine Bananenrepublik?

Nahostpolitik

Die Kündigung des Kontos der „Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ durch die Bank für Sozialwirtschaft ist ein Skandal

Von Arn Strohmeyer, 06.12.2016

Von Ariel Sharon ist der Satz überliefert: „Wir das jüdische Volk kontrollieren Amerika – und die Amerikaner wissen das.“ Da passt die Nachricht gut ins Bild, dass der US-Senat gerade ein Zensur-Gesetz verabschiedet hat, das die rechtliche Grundlage für ein Vorgehen gegen Studenten liefern soll, die es wagen, die israelische Politik zu kritisieren. Und die hohen amerikanischen Werte von Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit? Die bleiben offenbar auf der Strecke, wenn es um Israel geht.

Man darf gespannt sein, wann dem Deutschen Bundestag ein solcher Gesetzesentwurf vorgelegt wird, die Israel-Lobby arbeitet mit Sicherheit daran. Das wäre dann der Höhepunkt der Kampagnen, die sie zur Zeit unter der Leitung des dubiosen Journalisten Benjamin Weinthal betreibt: gegen missliebige Veranstaltungen – Vorträge, Lesungen, Ausstellungen, Konzerte und natürlich BDS-Demonstrationen – vorzugehen und ihr Stattfinden zu verhindern. Der neueste Coup ist, Druck auf Banken auszuüben, dass sie die Konten von Israel-Kritikern und kritischen Organisationen kündigen, auch und gerade von Juden.

Die Commerzbank machte bei Abraham Melzer den Anfang. Jetzt hat die Berliner Bank für Sozialwirtschaft der „Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ das Konto gekündigt. Auch hier hatte Benjamin Weinthal natürlich die Finger im Spiel. Dieses Geldinstitut gibt die BDS-Kampagne, die die „Jüdische Stimme“ unterstützt, als Grund für ihren Schritt an – und übernimmt dabei vollständig die israelisch-zionistischen Propaganda-Argumente: BDS sei „antisemitisch“, delegitimiere Israel und wolle diesem Staat den Boden unter den Füßen wegziehen. Die Bank beruft sich bei ihrer Entscheidung sogar auf „ethische Grundsätze“.

Welche mögen das wohl sein? Müsste dieses Geldinstitut nicht auch das Völkerrecht und die Menschenrechte im Auge haben, die Israel mit seinem Vorgehen gegen die Palästinenser in schlimmster Weise mit Füßen tritt? Die BDS-Kampagne bezweckt nicht mehr und nicht weniger, als Israel zu zwingen, seine völkerrechts- und menschenrechtswidrige Politik zu beenden, sich dem internationalen Recht unterzuordnen und einer für beide Seiten gerechten Friedenslösung zuzustimmen. Die Kampagne hat also das Recht auf ihrer Seite.

Das Bundesverfassungsgericht hat schon in den fünfziger Jahren in einem Grundsatzurteil festgestellt, dass der Aufruf zu einem Boykott eine zulässige Ausübung der Meinungsfreiheit ist. Auch international sind Boykottmaßnahmen völlig üblich (ob sie allerdings politisch sinnvoll sind, ist eine andere Frage und muss von Fall zu Fall entschieden werden) – man denke an Amerikas Boykott Kubas oder an den Boykott des Iran durch die Staaten des Westens, den Israel tatkräftig unterstützt hat.

In diesem Sinne argumentiert auch die EU. Federica Mogherini, die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, hat kürzlich erst das Recht von europäischen Bürgern/innen auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit bekräftigt. Auch die Beteiligung an der BDS-Bewegung werde durch diese Rechte geschützt. Auf Nachfrage sagte Frau Mogherini wörtlich: „Die EU schützt die Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Übereinstimmung mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und damit auch die auf den Gebiet aller EU-Mitgliedsstaaten einschließlich der in diesem Gebiet durchgeführten BDS-Aktivitäten.“ Die BDS-Bewegung delegitimiert also nicht Israel, sondern die Verteidiger Israels versuchen mit allen Mitteln, diese Bewegung zu delegitimieren – ein totalitärer Frontalangriff auf demokratische Grundrechte.

Die Kündigung des Kontos durch die Bank für Sozialwirtschaft ist also nichts anderes als ein schändliches und verachtenswertes Einknicken vor Benjamin Weinthal und der Israel-Lobby. Dass solche Aktionen bei Bekanntwerden in der Öffentlichkeit eher den Antisemitismus fördern, den man ja gerade bekämpfen will, versteht sich von selbst. Denn langsam taucht die Frage auf, ob Deutschland eine Bananenrepublik ist, die sich von dieser winzigen Minderheit alles bieten lassen muss. Die jüdischen BDS-Gegner argumentieren mit dem völlig unsinnigen Argument, dass die Kampagne an die NS-Terroraktion „Kauft nicht bei Juden!“ erinnere. Nein, es ist umgekehrt: Universalistisch denkende Juden und ihre politischen Freunde, die die Politik Israels vom Standpunkt der Menschenrechte und des Völkerrechts aus kritisieren, bekommen in Deutschland wieder Rede-, Sprech- und Versammlungsverbote und ihnen werden die Konten gekündigt, weil sehr vielen Deutschen der aufrechte Gang fehlt. Das erinnert sehr an unselige Zeiten. Es ist eine Schande!